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Die Flucht


mein erster Tag....auf der Flucht



von Christel Haars, geb. 7.11.1934


24.Januar 1945: Strahlend blauer Himmel, Sonnenschein, schneebedeckte Straßen. So zeigte sich die Stadt Elbing/Westpreußen, heute Elblag/Polen an diesem Morgen. In einer kleinen Verbindungsstrasse von zwei großen Hauptstraßen in der Altstadt gestikulierende Menschen mit ängstlichen Gesichtern, hauptsächlich Frauen und Kinder, auch ein paar Soldaten mit sichtbaren Zeichen einer Verwundung. Ich stehe dazwischen, zusammen mit meiner Mutter und meinem Bruder.

Am gestrigen späten Nachmittag sind russische Panzer durch die belebte Hauptstraße bis zur Stadtmitte gekommen und haben nach allen Seiten geschossen. Zwei Panzer sollen ausgebrannt in der Nähe stehen. Wie soll es weitergehen? Wir hatten Angst.

Viele wollen zum Bahnhof, um die Stadt mit dem Zug zu verlassen. Es sollen aber schon länger keine Züge mehr fahren. Andere wollen sich zu Fuß mit dem Schlitten auf den Weg machen. Westwärts, Richtung Danzig. Einige entschließen sich dazubleiben, abzuwarten.

Eine befreundete Familie, der am Arm verwundete Vater ist dabei, ist fest entschlossen, die Flucht zu Fuß zu wagen. Meine Mutter ist noch unschlüssig. Alles verlassen? Wo sollten wir hin?

Ich habe Angst, große Angst und bettele, dass wir uns der Familie anschließen. Und so wurde dann der Schlitten beladen, mit einem Rucksack und einigen anderen Gepäckstücken. Alles ging sehr schnell. Das Gepäck stand wahrscheinlich schon bereit. Denn wenn es uns auch strengsten verboten war, zu fliehen, so ließ sich das Näherrücken der Front nicht verheimlichen

Ich selber packe einige kleine Spielsachen ein und versorge meine Puppe im Puppenwagen. Wir werden sehr warm angezogen. Ich habe die Stiefel meiner Großmutter und etliche Paar Socken an, auch mein Bruder sieht eher unförmig aus. Meine Mutter entfernt das Hitler-Bild, das in der Diele hängt und verschließt die Tür.

Auf den Straßen sammeln sich Menschen, die wie wir die Flucht zu Fuß wagen wollen. Es geht über die Brücke des Elbingflusses auf die Landstraße Richtung Danzig. Die Straße ist überfüllt mit Pferdefuhrwerken, die als Schutz vor der Kälte mit Planaufbauten bedeckt sind. Ganze Dorfgemeinschaften haben sich zum Treck zusammengeschlossen. Diese Trecks kommen nur sehr langsam voran. Den vielen Flüchtlingen mit dem Handschlitten geht es besser, neben den Fuhrwerken bleibt eine kleine Gasse auf der wir dahinziehen. So können wir die immer wieder stehenden Trecks überholen. Auf einem Fuhrwerk entdecken wir unsere Tante mit unseren Cousinen, die ihren Bauernhof verlassen haben.

Die Sonne scheint den ganzen Tag. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich gefroren habe. Ich wieß auch nicht mehr, wo wir was zu essen bekommen haben oder ob wir was von zuhause mitgenommen haben. Abends erreichten wir Tiegenhof, etwa 20 km von Elbing entfernt. Dort haben wir ein kleines Zimmer in einem Hotel erhalten, dessen Besitzer schon geflüchtet waren.

Das war der erste Tag meiner Flucht, viele weitere folgten.




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