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Ankunft

Mein erster Tag in Deutschland – Mehmet Aydin, geb. 18.02.1969


Bevor ich im Herbst 1979 nach Deutschland kam, hatte ich Erstaunliches über Deutschland gehört. Die Leute beschrieben es wie ein Paradies, aber nicht in der Art, dass es dort paradiesisch schön wäre. Es klang eher so: das Geld lag auf der Straße und man musste es nur aufsammeln. Ohne zu arbeiten, Geld verdienen. Das klang zu schön. Aber in dem Alter war mir Geld nicht wichtig. Nur meinen Eltern war es wohl recht, dass sie nicht mehr so hart für ihr Geld arbeiten mussten oder vielleicht sogar Geld zu verdienen ohne zu arbeiten.

Die „Flucht“ aus der Türkei hatte aber nicht nur wirtschaftliche Gründe. In der Türkei tobte ein Bürgerkrieg zwischen Links- und Rechtsextremen, zwischen Aleviten (die als Abtrünnige galten) und religiös-nationalistischen Sunniten. Und das Militär hatte angesichts der Verhältnisse die Macht übernommen, um für „Ordnung“ zu sorgen.

Aber ich wollte eigentlich nicht weg. Ich fühlte mich wohl und wollte meine gewohnte Umgebung nicht verlassen (da bin ich eher sowas wie eine Katze) – zumal ich seit längerem in ein Mädchen namens Meral verliebt war und träumte, mit ihr zusammenzuleben.

Mein Vater lebte schon seit mehreren Jahren in Deutschland, Leverkusen Opladen, arbeitete in einem Knochenjob bei den Bayer-Werken. Das hatte er sich bestimmt anders vorgestellt, war er doch in der Türkei noch Lehrer. Er hatte dort neu geheiratet und meine Mutter wollte nun zu ihrem neuen Ehemann nach Köln ziehen, der auch schon 6 eigene Kinder hatte – die auch alle nach Deutschland kommen sollten. Also mussten wir „entsorgt“ werden. Mein Vater musste uns wohl oder übel aufnehmen – auch wenn er schon zwei eigene Kinder hatte.

Ich und meine zwei Schwestern wurden also in den Flieger Köln/Bonn gesetzt und wir kamen spät abends da an. Der erste Eindruck war grandios. Es war so ordentlich, so hell, alles schön beleuchtet. Wir fuhren eine Rolltreppe hoch, die ich bis dahin nicht kannte. Während wir die Rolltreppe hochfuhren, schauten 2 neugierige Augenpaare zu uns herab -meine Stiefmutter und mein Vater. Ob sie uns ob unseres Aussehens auslachten oder sich freuten, uns zu sehen. Ich weiß es nicht. Auf der Fahrt nach Opladen erinnerte ich mich an die schöne, hell beleuchtete Autobahn, wo nichts los war. Ja, das war wirklich ein Paradies – zumindest für die Autofahrer, die während des Autofahrens nicht bedrängelt, beschimpft oder angehupt wurden. Das war nicht Unterschied Hölle zu Paradies, sondern das war hier eher eine zivilisiertere Welt. Als Autofahrer fühlte sich man hier zumindest wohl. Das war mein erster Tag in Deutschland. Nicht so spannend, war es doch nur ein kurzer Tag, eigentlich Abend. Und ich habe nicht viel gesehen außer vielen Lichtern im Dunklen.

Vom nächsten Tag habe ich nur so viel in Erinnerung: die Umgebung war langweilig und feindlich. Es war eine reine Siedlung mit einfachen Häusern, die bestimmt vor sehr langer Zeit von den Bayer-Werken für ihre Arbeiter gebaut worden sind. Ich ging alleine zum Spielplatz. Ein Junge – vom Aussehen deutsch – kam auf mich zu und sagte etwas zu mir. Ich sagte das, was man mein Vater als erstes beigebracht hatte: „Nix deutsch“ oder so ähnlich. Wie es weiterging, erinnere ich mich nicht mehr. Aber ich fand die Situation unangenehm, ging schnell weg und fühlte, dass er etwas gesagt hatte wie „Hau ab, du bist hier nicht willkommen.“. Erst später lernte ich, dass er zu mir auch Kanake gesagt hatte und was das Wort bedeutet.

Der Eindruck von dem ersten Tag hatte sich bei mir verewigt, dass ich mehrere Jahre gebraucht habe, bis ich den Abstand zu Deutschen verlor und später viele Deutsche als äußerst freundliche Menschen kennengelernt habe. Es ist also wichtig, wie man empfangen wird. Denn dieses Gefühl, dass man willkommen und nett empfangen wird, kann Leben und Lebenswege prägen. Andersherum würde es bedeuten, dass man sich in der neuen Gesellschaft abkapselt, weil man hier sich hier als Fremdkörper fühlt.


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